Fr. Dr. Voos stand uns für ein Interview zu ihrem Buch zur Verfügung.
Herzlichen Dank für das Interview!
Snegurotschka: - Die Beziehung zum Therapeuten sehen Sie als zentrale Basis. Das, was Sie in Ihrem Buch beschreiben, ist das Optimale. Eine „gute therapeutische Beziehung/Bindung“. Nur ist das oft nicht zu bekommen. Ist therapeutische Arbeit ohne diese zu leisten? Meiner Meinung nach kann das schwierig sein. Wenn auch abhängig von der Thematik. Aber wie sollen Patient*innen damit umgehen? Fr. Dr. Voos: Eine sehr gute Frage, die ich kaum beantworten kann. Ich selbst habe die Vorstellung, dass sich schwere Ängste und traumatische Zustände nur mithilfe einer engen therapeutischen Beziehung dauerhaft abmildern lassen. Ich wünschte, ich könnte den verzweifelten Lesern und Leserinnen, die keinen Therapieplatz finden, etwas anderes sagen. Aber jede psychische V*rl*tz*ng ist individuell und die Wege der Betroffenen sind es auch. Ich denke, es ist wichtig, zu suchen und sich nicht zufrieden zu geben, bis man einen Zustand erreicht hat, mit dem es sich leben lässt. Snegurotschka: - Zudem kam mir beim Lesen dessen, der Gedanke, die Beziehung zum Therapeuten als Zentrales zu sehen, ob das nicht im Widerspruch dazu steht einen schriftlichen Ratgeber alleine durchzuarbeiten? Fr. Dr. Voos: Ein Ratgeber-Buch kann nie mehr als einen Impuls bieten. Man darf von meinem Buch also nicht zu viel erwarten. Ich stelle in dem Buch dar, wie die Psyche durch Beziehungsstörungen krank werden kann und wie sie mithilfe neuer Beziehungserfahrungen gesunden kann. Mithilfe meines Buches lässt sich vielleicht besser verstehen, was auf dem Weg des Krank- und wieder Gesundwerdens überhaupt passiert. Es ist vielleicht ein Begleiter, aber sicher kein alleiniges Mittel, um sich dauerhaft entscheidend besser zu fühlen. Snegurotschka: - Ein Aspekt Ihres Ansatzes ist die „innere Wahrheit“. Das, was wir tief in uns (als richtig) fühlen. Im Buch u.a. auf Seite 124 thematisiert. Eine innere Wahrheit, gegen die sich nicht argumentieren lässt. Die neue Erfahrungen braucht, um sich zu verändern. Verändern zu können. Nur, wenn es diese Erfahrungen nicht gibt? Sehen Sie da trotzdem Möglichkeiten zur Veränderung? Fr. Dr. Voos: Möglichkeiten, tiefgreifende Erfahrungen zu machen, die einen wirklich verändern, gibt es ein Leben lang und prinzipiell überall. Ich kann immer nur von mir sprechen und von meinen Erfahrungen mit meinen Patienten. Ich habe oft gedacht: Diese Erfahrung, die mich meiner inneren Wahrheit näher gebracht hat, habe ich wirklich nur in der Psychoanalyse machen können. Andere Menschen, die vielleicht andere Therapieformen erlebt haben, die intensiv Kampfsport betreiben, die Berufsmusiker, Forschende oder Pilger sind, haben auf ihren Gebieten vielleicht ähnliche Erfahrungen machen können. Wichtig erscheint mir die Hingabe auf dem Weg des Suchens und die vertrauensvolle Beziehung zu einem Therapeuten oder Lehrer. Manche Musiker berichten, in der engen Beziehung zu ihrem Lehrer ähnlich lebensverändernde Erfahrungen gemacht zu haben, die sie ihren inneren Wahrheiten nähergebracht haben. Snegurotschka: - Ich finde es interessant, dass Sie keine Erwartungshaltung an Ihre Patient*innen haben. Sie nicht „zum Positiven zwingen“. Das deckt sich mit meiner eigenen Erfahrung, dass von außen vorgegebene Fokusse darauf, etwas zwingend positiv zu bewerten, nicht immer zielführend sind. Jedes negative Gefühl braucht seinen Raum, um sich verändern zu können. Trotzdem braucht es, meiner Meinung nach, eine Balance. Um sich nicht im negativen Gefühl zu verlieren. Wie vermitteln Sie eine solche? Fr. Dr. Voos: Meine Erfahrung - wieder mit der Psychoanalyse - ist es, dass man sich nicht im negativen Gefühl "verliert", wenn es einen Psychoanalytiker gibt, der emotional präsent ist und das Negative mitempfinden und halten kann. Das Schreckliche, mit dem psychisch sehr leidende Menschen zu kämpfen haben, braucht einen Platz - auch in einem anderen Menschen. Mithilfe des anderen Menschen bildet sich eine Art "Substanz" in einem, die einem hilft, die tiefen Ängste und furchtbaren inneren Zustände und Erinnerungen auszuhalten. Zudem ist uns das Leben immer "zu viel". Darüber spricht z.B. der Psychoanalytiker Adam Phillips auf Youtube. Ich finde solche Beiträge tröstlich und hilfreich. Wenn man allein ist und es wird einem zu viel, dann hilft manchmal eine heiße Dusche, körperliche Aktivität oder der Anruf bei der Telefonseelsorge oder der besten Freundin. Snegurotschka: - Was würden Sie Therapie Unerfahrenen zur Lektüre Ihres Buches raten? Gerade, da Ihr Buch mit dem Hinweis, ein psychoanalytischer Ratgeber für diejenigen zu sein, die bereits viele Therapieformen vergeblich ausprobiert haben, versehen ist. Fr. Dr. Voos: Wer sich für die Psychoanalyse interessiert, dem würde ich empfehlen, sich im Internet in das Thema einzulesen. Hier gibt es inzwischen gute Texte, die beschreiben, wie Psychoanalyse heute aussieht. Auf meinem Blog [medizin-im-text] versuche ich, die Therapie und Hilfsmöglichkeiten leicht verständlich darzustellen. Aber auch Kollegen und Kolleginnen von mir liefern gute Beiträge; beispielsweise finde ich den Podcast "Rätsel des Unbewussten" sehr empfehlenswert. Snegurotschka: - Schritt 6 „Entdecke das Träume und Spielen“ – Auch das kann ein schwierigerer Balanceakt sein. „Es kann nichts werden, was ich vorher nicht geträumt habe“ – Kann das nicht auch oft an reale Grenzen stoßen? Oft erleben Patienten eine Frustration, die Träume schnell im Keim erstickt. Fr. Dr. Voos: Das "Ja, aber" ist wohl unsere größte Grenze. Träumen können wir immer. Oft sind wir es ja selbst, die wir uns die Grenzen setzen - oder aber wir sind mit Menschen zusammen, die den Traum schon früh im Keim ersticken. Manchmal muss man sich mit der Realität abfinden - oft aber kann man seinen Traum auch innerlich weiterpflegen und suchen. Die Suche erscheint mir als das Wichtigste auf dem Weg aus der krankhaften Angst.
_________________ Denke immer daran, dass es nur eine wichtige Zeit gibt: Heute. Hier. Jetzt. Lew Nikolajewitsch TolstoiNicht im Kopfe, sondern im Herzen liegt der Anfang! Maxim Gorki PNs an die zuständigen Mitarbeiter:
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